1Jetzt aber muss ich mich verspotten lassen von solchen, die viel jünger sind als ich. Schon ihre Väter haben nichts getaugt! Ich konnte sie nicht zu den Herden schicken, damit sie meinen Hunden helfen sollten. (Hi 19,18)2Für welche Arbeit sind schon Leute gut, die keine Kraft mehr in den Armen haben,3weil Hunger und Entbehrung sie erschöpften? Sie nagen trockene Wurzeln in der Wüste, dem Land der Dunkelheit und Einsamkeit.4Sie pflücken sich das Salzkraut unter Sträuchern und essen Wurzeln von den Ginsterbüschen.5Von allen andern werden sie vertrieben, so wie man Diebe mit Geschrei verjagt.6Sie hausen in den Wänden tiefer Schluchten, in Höhlen und in Spalten des Gesteins.7Sie schreien wie Tiere im Gebüsch der Wüste, sie drängen sich im stachligen Gestrüpp.8Ein Pöbelvolk, Gesindel ohne Namen, das man mit Peitschen aus dem Lande trieb.9Jetzt singen sie ihr Spottlied über mich, ich bin der Redestoff für ihren Klatsch. (Hi 17,6; Ps 31,12; Ps 69,13; Kla 3,14)10Sie ekeln sich und rücken von mir ab, sie haben keine Scheu, mich anzuspucken. (Jes 50,6; Mk 14,65)11Ganz schwach und wehrlos hat mich Gott gemacht, drum lassen sie auch jede Hemmung fahren.12Nun kommt die Schlangenbrut und greift mich an; sie zwingen mich, die Stellung aufzugeben; sie schütten Dämme auf zum letzten Sturm.13Sie haben mir den Fluchtweg abgeschnitten; zu meinem Sturz trägt jeder fleißig bei, sie brauchen dazu keine fremde Hilfe.14Sie dringen durch die Breschen meiner Mauer und drängen durch die Trümmer auf mich zu.15Der Schrecken greift nach mir mit kalter Hand; ein Windstoß wirbelt meine Würde fort, mein Wohlstand löst sich auf wie eine Wolke.16Ich spüre, wie mein Leben aus mir fließt. Seit Tagen schon umklammert mich die Qual.17Nachts bohrt der Schmerz in allen meinen Knochen, als sollten sie aus meinem Körper fallen; die Nerven können keine Ruhe finden.18Mit aller Kraft hat Gott mein Kleid gepackt,[1] er schnürt mich ein wie ein zu enger Kragen.19Er hat mich in den Lehm zurückgestoßen, im Staub und in der Asche muss ich trauern.20Ich schrei um Hilfe, Gott! Wann gibst du Antwort? Ich steh vor dir – dein Blick bleibt starr und kalt. (Hi 19,7; Ps 22,3)21Du bist so grausam gegen mich geworden und lässt mich spüren, wie viel Macht du hast.22Du setzt mich auf den Wind wie auf ein Pferd; er reißt mich mit Getöse ins Verderben.23Ich weiß, du bringst mich fort zur Totenwelt, wo alle Lebenden sich wiederfinden.24Dem Trümmerhaufen kann man nicht mehr helfen. Ob Gottes Hand mir hilft, bevor ich falle?[2]25Hab ich nicht oft geweint mit Schwergeplagten? Zog ihre Not mir nicht das Herz zusammen? (Ps 35,13; Röm 12,15)26Ich hoffte, wartete auf Licht und Glück, doch nichts als Dunkelheit und Unglück kam!27Ich bin erregt und finde keine Ruhe, denn Tag für Tag umgibt mich nichts als Qual.28Ich bin voll Trauer, mir scheint keine Sonne; ich klage öffentlich und fordere Hilfe.29Mein Schreien klingt, wie wenn Schakale heulen, ich weine einsam wie der Vogel Strauß. (Ps 102,7; Mi 1,8)30Geschwärzt ist meine Haut, sie löst sich ab, die Glut des Fiebers brennt in meinen Knochen. (Ps 102,4; Kla 3,4; Kla 4,8)31Mein Lautenspiel ist Jammerlaut geworden, mein Flötenspiel in Klagelied verwandelt.
1»Und jetzt? Jetzt lachen sie mich aus – sie, die jünger sind als ich; ihre Väter hätte ich nicht einmal für wert geachtet, sie zu den Hunden meiner Herde zu stellen!2Was sollen mir diese Schwächlinge nützen, die keine Kraft mehr in den Knochen haben?3Ausgezehrt von Hunger und Armut nagen sie die Wurzeln in der Wüste ab, draußen im Land der Einsamkeit.4Sie pflücken Salzkraut von den Büschen, und Ginsterwurzeln sind ihr Brot.5Aus der menschlichen Gemeinschaft wurden sie verjagt, man schreit ihnen nach wie Dieben.6In verlassenen Tälern hausen sie, zwischen Felsen und in Erdhöhlen.7Im Gestrüpp, da kauern sie und schreien, unter hohen Distelsträuchern drängen sie sich zusammen.8Dieses Gesindel, diese Brut, aus dem Lande weggejagt!9Und jetzt? Jetzt machen sie Spottverse, sie zerreißen sich das Maul über mich.10Sie verabscheuen mich und gehen mir aus dem Weg; und wenn sie mir doch einmal begegnen, spucken sie mir ins Gesicht!11Gott hat meine Lebenskraft zerbrochen[1] und mich gedemütigt, darum kennen sie in meiner Gegenwart keine Rücksicht mehr.12Ja, diese Brut greift mich an! Sie versuchen, mich zu Fall zu bringen, sie schütten einen Belagerungswall rings um mich auf.13Sie schneiden mir den Weg ab und zerstören mein Leben, niemand hält sie dabei auf.14Sie durchbrechen meine Verteidigungsmauer und zertrümmern, was ihnen in die Quere kommt.15Furcht und Entsetzen haben mich gepackt und meine Würde wie im Sturm verjagt; meine Sicherheit ist vertrieben wie eine Wolke.16Mein Leben verrinnt, das Elend hat mich fest im Griff.17Bohrende Schmerzen rauben mir den Schlaf, sie nagen an mir Nacht für Nacht.18Mit gewaltiger Kraft hat Gott mich am Gewand gepackt und schnürt mich ein wie ein zu enger Kragen.19Er wirft mich in den Schmutz, ich bin zu Staub und Asche geworden.20Ich schreie um Hilfe, o Gott, aber du antwortest nicht; ich stehe vor dir, doch du starrst mich nur unerbittlich an.21Du bist mein grausamer Feind geworden, mit aller Kraft kämpfst du gegen mich!22Du wirbelst mich empor in die Luft, treibst mich vor dem Sturm dahin und zerschmetterst mich dann mit lautem Krachen.23Ja, ich weiß: Du willst mich zu den Toten bringen, hinunter in das Haus, wo alle Menschen sich versammeln.24Doch wer unter Trümmern verschüttet wurde, streckt die Hand nach Rettung aus; schreit man nicht im Unglücksfall um Hilfe?25Habe ich nicht damals über die geweint, die ein schweres Los zu tragen hatten? Ich hatte Mitleid mit den Armen!26Und so erwartete ich Gutes, doch das Unglück kam! Ich erhoffte das Licht, doch es kam die Dunkelheit.27Mein Inneres ist aufgewühlt, ich finde keine Ruhe, die Tage des Elends haben mich eingeholt.28Meine Haut ist schwarz geworden, doch nicht von der Sonnenglut. In der Versammlung stehe ich auf und schreie laut um Hilfe.29Mein Heulen klingt wie das der Schakale, wie das Schreien der Strauße.30Meine Haut ist schwarz geworden und schält sich, das Fieber glüht in meinem Körper.31Meine Laute spielt ein Trauerlied, meine Flöte eine Melodie der Klage.«