Kommentare zu Römer 2

Enduring Word (Deutsch) (8)

Eine Abrechnung mit denen, die sich über andere erheben

Darum bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, wer du auch seist, der du richtest! Denn worin du den anderen richtest, verurteilst du dich selbst; denn du, der du richtest, verübst ja dasselbe! Wir wissen aber, dass das Gericht Gottes der Wahrheit entsprechend über die ergeht, welche so etwas verüben. Denkst du etwa, o Mensch, der du die richtest, welche so etwas verüben, und doch das Gleiche tust, dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst? (Römer 2,1-3)

Darum bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, wer du auch seist, der du richtest: In Römer 1 weist Paulus auf die Menschen hin, deren Sünde am offensichtlichsten ist. Er spricht nun zu denen, deren Verhalten im Allgemeinen als moralisch korrekt angesehen wird. Paulus nimmt an, dass sie sich selbst dazu beglückwünschen, nicht wie die in Römer 1 beschriebenen Menschen zu sein.

  • Ein gutes Beispiel für diese Denkweise ist Jesu Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner. Wenn wir diese Figuren aus Jesu Gleichnis nehmen, hat Paulus in Römer 1 zum Zöllner gesprochen und wendet sich nun an den Pharisäer (Lukas 18,10-14).
  • Viele Juden, die zur Zeit von Paulus lebten, waren typische Moralisten, aber seine Worte in Römer 2,1-16 scheinen sich auf eine größere Gruppe zu beziehen. Da war zum Beispiel Seneca, der römische Politiker, Morallehrer und Hauslehrer von Nero. Er würde Paulus in Bezug auf die Moral der meisten Heiden voll und ganz zustimmen, aber ein Mann wie Seneca würde denken: „Ich unterscheide mich auf jeden Fall von diesen unmoralischen Menschen".
  • Viele Christen bewunderten Seneca und sein starkes Eintreten für Dinge wie ‚Moral' und ‚Familienwerte'. „Aber allzu oft duldete er in sich selbst Laster, die sich nicht so sehr von denen unterschieden, die er in anderen verurteilte - das offenkundigste Beispiel war seine Mittäterschaft bei der Ermordung von Agrippina, Neros Mutter". (Bruce)

Denn du, der du richtest, verübst ja dasselbe: Nachdem er die Zustimmung des Moralisten zur Verurteilung derer bekommen hat, die offensichtlich gesündigt haben, benutzt Paulus nun dasselbe Argument, um den Moralisten selbst zu verurteilen. Das liegt daran, dass du, der du richtest, am Ende dasselbe tust.

  • Wenn wir einen anderen Menschen richten, verweisen wir auf einen Maßstab, der außerhalb von uns selbst liegt - und dieser Maßstab verurteilt jeden, nicht nur den offensichtlichen Sünder. „Da du die Gerechtigkeit Gottes kennst, was dadurch bewiesen wird, dass du andere verurteilst, bist du ohne Entschuldigung, weil du dich selbst verurteilst, wenn du andere richtest." (Murray)
  • Verübst ja dasselbe: Man beachte, dass der Moralist nicht dafür verurteilt wird, dass er andere richtet, sondern dafür, dass er sich der gleichen Dinge schuldig macht, wegen derer er andere richtet. Das ist etwas, wogegen der Moralist Einspruch erheben würde („Ich bin überhaupt nicht wie sie!")), aber Paulus wird zeigen, dass er es tatsächlich ist.
  • Wuest, zitiert Denney´s Aussage zu dem Text ` für dich, den Richter, der die gleichen Dinge praktiziert ´: „Nicht, dass ihr die gleichen Dinge tut, aber euer Verhalten ist dasselbe, d. h. ihr sündigt gegen das Licht. Auch die Juden haben gesündigt, aber ihre Sünden waren nicht dieselben wie die der Heiden".

Nach der Wahrheit: Das bedeutet „gemäß den Tatsachen des Falles". Gott wird den Moralisten auf der Grundlage der Fakten beurteilen (und verurteilen).

  1. Der Punkt ist klar: Wenn der Moralist genauso schuldig ist wie der, dessen Sünde so offensichtlich ist, wie werden sie dann dem Gericht Gottes entfliehen?
    • Das ‚Du' in der Frage ist entscheidend : „[Denkst du etwa,] dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst?" Paulus erniedrigt sich hier und lässt seinen Leser wissen, dass er keine Ausnahme von diesem Prinzip darstellt. Paulus wusste, wie er zum Herzen seiner Leser gelangen konnte. „Unsere Ermahnungen sollten wie gespaltene Pfeile sein, die in den Herzen der Menschen stecken sollen; und nicht nur verwunden, wie andere Pfeile." (Trapp)
    • Lenski über den Moralisten: „Paulus geht es um weit mehr als nur darum, auch sie der Ungerechtigkeit zu überführen. Er nimmt ihnen ihren Moralismus und ihr Moralisieren weg, weil sie darin den Weg sehen, dem Zorn Gottes zu entkommen".