Gnosis

Wörterbuch: Sacherklärungen der Gute Nachricht Bibel

Bezeichnung für eine spätantike Geistesströmung, die sich seit dem Ende des 1. Jh. auch auf christliche Gemeinden auszuwirken beginnt und im 2. Jh. der am bittersten bekämpfte Feind der Alten Kirche wurde (vgl. 1Tim 6,20-21). Sie ist bestimmt von einer tief pessimistischen Einstellung gegenüber der Materie und der Leiblichkeit. Diese gelten als die minderwertige Schöpfung eines niederen, bösen Geistes (z.T. mit dem Gott des Alten Testaments gleichgesetzt). Das Innerste und Eigentliche des Menschen gehört nicht dieser schlechten Welt an, ist vielmehr ein Lichtfunke, der aufgrund eines urzeitlichen Sündenfalls - oder eigentlich eines kosmischen Unglücksfalls - in die Materie verbannt wurde. Der Mensch kennt von sich aus nicht den Grund seines Elends, er empfindet es oft nicht einmal und hat kein Bewusstsein seiner wahren Herkunft und Seinsart. Ein Bote aus dem Lichtreich muss kommen, ihn aus dem Schlaf der Selbstvergessenheit aufwecken und ihm die Erkenntnis darüber bringen, wer er dem Wesen nach ist, woher er gekommen ist und wohin er eigentlich gehört. In solcher Erkenntnis (griechisch »Gnosis«) liegt schon die »Erlösung«; sie realisiert sich in der Rückbesinnung auf die eigene göttliche Seinsart und vollendet sich in der Rückkehr in das Reich des Lichtes, in das der göttliche Bote den Weg bahnt. »Erlösung« hat für den Gnostiker also nichts zu tun mit Einsicht in persönliche Schuld und mit Lossprechung von dieser Schuld aufgrund des Kreuzestodes von Jesus; es geht vielmehr um das Durchschauen und Rückgängigmachen des »kosmischen Betriebsunfalls«. Sofern Erlösung in diesem Sinne die radikale Herauslösung des Seelenfunkens aus der materiellen Welt ist, verliert der Gedanke einer leiblichen Auferstehung seinen Sinn, und die Gnostiker können behaupten, die als zukünftig erwartete Auferstehung sei an ihnen schon geschehen, indem sie zur »Erkenntnis« ihres wahren Wesens gelangt sind (vgl. 2Tim 2,18). Die zu dieser Art »Erkenntnis« Erwachten verachten die Materie und lehnen es ab, sich für die Ordnungen der gegenwärtigen Welt zu interessieren und sich für ihren Fortbestand zu engagieren; sie entziehen sich jeder innerweltlichen Verantwortung. In diesem Sinn fühlen sich »christliche« Gnostiker den Weisungen des alttestamentlichen Gesetzes gegenüber frei und überlegen; stammt dieses doch von dem niederen Geist, der mit dessen Hilfe sein mangelhaftes Schöpfungswerk funktionsfähig halten will. Die Welt- und Leibverachtung des Gnostikers äußert sich teils - nach außerbiblischen Zeugnissen überwiegend - in rigoroser Askese, besonders auch in Ehe- und Geschlechtsfeindlichkeit (vgl. 1Tim 4,1-5), teils in deren Gegenteil, d.h. in einem Libertinismus, der bewusst die sittlichen, dem Leben dienenden Ordnungen ignoriert und zu zerstören sucht (vgl. Jud 7-8.18). Für gnostisch infizierte Christen ist es ausgemacht, dass der Erlöser Jesus, aus der Sphäre Gottes herabsteigend, sich unmöglich mit der Materie verbunden haben und wirklich Mensch geworden sein kann. Vielmehr hat er sich - in der Taufe am Jordan - nur äußerlich und zum Schein mit einem Menschenleib verbunden, den er vor der Passion wieder verließ. Die »Erlösung« hat er vollbracht, indem er den Menschen die »Erkenntnis« (Gnosis) brachte; das Sterben am Kreuz trägt dazu nichts bei. Diese Verbiegung und Entleerung der christlichen Botschaft wird bekämpft in Joh 1,14; 1Joh 4,2-3; 2Joh 7; vgl. auch 1Tim 2,5-6; 3,16.